Anton Gruber vor dem niederösterreichischen Gewerbeverein
Am 6. April 1840 hielt Anton Gruber eine Rede vor dem im Dezember des Vorjahres gegründeten niederösterreichischen Gewerbeverein. Zu diesem Zeitpunkt war er 22 Jahre alt und hatte eben erst die beiden Werkzeugfabriken seines im November 1839 verstorbenen Vaters Franz Gruber übernommen, die in der ganzen Monarchie einen ausgezeichneten Ruf genossen.
Aber zuerst ein kleiner Exkurs zur Entstehung des niederösterreichischen Gewerbevereins:
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Die Mitglieder des Gewerbevereins waren Männer aus dem Gewerbe, dem Handel und der Wissenschaft. In den Monatsversammlungen wurden neueste Erfindungen, Materialien und Produktionsweisen vorgestellt und diskutiert, Gewerbetreibende aus allen Branchen berichteten von ihren eigenen Erfahrungen und Produktionsweisen. Der Verein verfügte über eine eigene Bibliothek mit Lesesaal zur Weiterbildung seiner Mitglieder und legte eine umfangreiche Sammlung von Modellen, Mustern und Gewerbeprodukten an. Zur Mitgliedschaft zugelassen waren alle Gewerbetreibenden, unabhängig von Betriebsgröße und Stand. Ziel war es, dadurch die nationale Industrie insgesamt zu fördern.
Der Weg bis zur Gründung des Gewerbevereines war jedoch lang und steinig. Die Industrialisierung war eine Zeit tiefgreifender Veränderungen, die ersten Fabriksgründer waren großteils Pioniere und Visionäre, politisch eher dem liberalen Lager zugehörig. Die österreichische Politik des Vormärz (1815-1848) war aber nicht auf Veränderung ausgerichtet, sondern auf den Erhalt der politischen Ordnung von 1815 (Wiener Kongress). Kaiser Franz II. (I.) und vor allem sein Staatskanzler Metternich waren erklärte Gegner aller demokratischen, liberalen und nationalen Strömungen. Metternich errichtete, von Kaiser Franz gebilligt, ein System aus Zensur und Spitzelwesen, politische Vereinigungen und öffentliche politische Betätigung jeglicher Art waren verboten. Diese erzkonservative Grundhaltung des Kaisers und vor allem Metternichs bereitete der österreichischen Wirtschaft teils erhebliche Schwierigkeiten, da der Staatsspitze jegliche Form von Veränderung oder gar Reform verdächtig war. Österreich verlor in der wichtigen ersten Phase der Industrialisierung den Anschluss an England und Frankreich.
Schon 1822 legte der Direktor des k. k. Polytechnischen Institutes, Professor Johann Joseph Prechtl, einen Organisationsplan zur Gründung eines Vereines zur Förderung der Nationalindustrie vor. Doch auch 12 Jahre später war seine Eingabe immer noch unerledigt. Im März 1835 starb Kaiser Franz II. (I.). In seinem Testament verfügte er die Thronfolge seines Sohnes Ferdinand, obwohl dieser aufgrund mehrer Leiden (Epilepsie, Rachitis, Hydrocephalus) als regierungsunfähig galt. Deswegen stellte er ihm, ebenfalls testamentarisch und auf Betreiben Metternichs, eine "geheime Staatskonferenz" zur Seite, die de facto die Regierungsgeschäfte führte. Sie bestand aus Erzherzog Ludwig (Ferdinands Onkel), Erzherzog Franz Karl (dem älteren Bruder Ferdinands und eigentlich rechtmäßigen Thronfolger), Staatskanzler Fürst Metternich und dessen politischen Gegenspieler Graf Kolowrat-Liebsteinsky.
Im November 1835, nach der ersten Wiener Gewerbeausstellung, stellten die Herren Coith, Spörlin, Hornbostel und Arthaber (als Vertreter des Industrie- und Handelsstandes in der Ausstellungskommission) ein Gesuch an Kaiser Ferdinand I. zur Bewilligung der Gründung eines Gewerbevereins.
Aber es dauerte noch bis zum 20. Oktober 1839, bis der Kaiser nach Vorlage eines Entwurfs der Statuten und einer Mitgliederliste zustimmte, allerdings mit der Einschränkung, dass der Verein nicht österreichischer, sondern nur niederösterreichischer Gewerbeverein heißen darf.
Im Dezember 1839 fand die erste Generalversammlung mit der Wahl der Vereinsleitung statt, am 25. Jänner 1840 die konstituierende Vollversammlung. Zum ersten Vorsitzenden wurde Ferdinand Graf Colloredo-Mannsfeld gewählt, die Schirmherrschaft (Protektorat) übernahm Erzherzog Franz Karl, Graf Kolowrat-Liebsteinsky bekleidete die Stelle eines Kurators. Erzherzog Johann, Staatskanzler Fürst Metternich und der Oberste Kanzler Graf Mittrowsky von Mittrowitz wurden Ehrenmitglieder.
Der junge Fabriksbesitzer Anton Gruber war also am 6. April 1840 einer der ersten, der vor dem versammelten Gewerbeverein das Wort ergriff. Er scheint ein Visionär vom selben Schlage seines Vaters gewesen zu sein und nutzte diese Bühne zu einem flammenden Appell, um seinem Fach die Aufmerksamkeit zu geben, die es verdiente.
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Hier nun seine Rede, wie sie im ersten Heft der Verhandlungen des niederösterreichischen Gewerbevereins 1840 abgedruckt wurde:
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Über die Notwendigkeit der Erzeugung und Verbreitung guter Werkzeuge.
Von
Herrn Anton Gruber,
k.k. Hof-Werkzeugfabrikanten.
(vorgetragen in der Monatsversammlung am 6. April 1840.)
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Ich erlaube mir heute die Aufmerksamkeit des Vereins, welcher sich die Hebung der vaterländischen Industrie zu seinem großartig gemeinnützigen Ziele gesteckt hat, auf einen Gegenstand im Gewerbswesen zu lenken, welcher dem Anscheine nach unbedeutend, doch eine wichtige Rolle im Fache der Gewerbs-Industrie spielt, und dessen Nützlichkeit, Wichtigkeit und Notwendigkeit jeder erfahrene Gewerbsmann gehörig zu beurteilen im Stande sein wird.
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Nicht glänzende Seidenstoffe, nicht geschmackvoll gearbeitete Baum- und Schafwollzeuge, nicht prachtvolle Gold- und Silberarbeiten, welche das Auge unwillkürlich auf sich ziehen, sind der Gegenstand, dessen ich erwähnen will; sondern nur schlichte, unansehnliche Werkzeuge aus Stahl und Eisen sind es, deren Nutzen, Wichtigkeit und Unentbehrlichkeit nur dem Kenner in die Augen fallen. Es ist dies ein Artikel, ohne welchen kein Handwerker, sei er auch noch so geschickt, etwas Vollkommenes zu Tage fördern oder etwas Gelungenes leisten kann, und so manche Werkstätte des Auslandes dankt nur den guten Werkzeugen ihren ausgebreiteten Ruf und die Vorzüglichkeit ihrer Erzeugnisse.
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Es ist hier nicht die Rede von künstlich zusammengesetzten Maschinen, welche die Seele der Fabriken, der Dampfschiffe, der Lokomotive und anderer großartigen Unternehmungen bilden, sondern von den einfachen, kleinen, aber eben so gemeinnützigen Werkzeugen, als da sind: Hobeleisen, Stemmzeuge, Sägen, Ziehklingen, Schnitzer, Bohrer, Drechsler- und Bildhauereisen usw., wovon jede Gattung wieder mehrere Unterabteilungen enthält. – So gibt es nach Verschiedenheit der Form und Bestimmung des Hobels: Schrupp-, Schlicht-, Zahn-, Doppel-, Falz-, Gesims- und Kehleisen usw., und jede dieser Unterabteilungen unterscheidet sich wieder vielfach nach der Breite von ¼ Zoll bis 4 Zoll. Eine gleich große Verschiedenheit besteht in den Stemmzeugen, wo es ein- und doppelfasige, gerade und schräge Stemmeisen, Ball- und Hohleisen, Stech- und Lochbeitel usw. gibt, von denen wieder jede Sorte, wie in der Stärke, so auch in der Breite sich mannigfach unterscheidet.
Eben so verschieden sind die Sägen, welche sich in Klob- oder Furnier-, Stich-, Schweif-, Aushäng- und Laubsägen teilen, und wovon abermals jede Sorte nach Verschiedenheit der Länge und Breite in mehrere Abteilungen zerfällt. Welch ein weites Feld bieten nicht alle diese genannten, so vielfach gearteten Werkzeuge dar für den unmittelbaren Gebrauch ganzer, bloß mit Holzarbeiten beschäftigter Gewerbe, und für ihren mittelbaren Einfluss auf alle erdenklichen anderen Gewerbe, Fabriken und Künste, mögen sie nun Ton, Stein, Metall oder andere Stoffe verarbeiten!
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Die Einwirkungen der mehr oder minderen Vorzüglichkeit dieser Werkzeuge auf das Gesamtwesen der Industrie sind gewiss nicht überschätzt wenn man behauptet: ohne Hobel, Säge und Stemmeisen ist jede Industrie ganz gelähmt, und stehen ihr deren zu Gebote, aber von schlechter Qualität, so befindet sie sich stets in einem Zustande der Kindheit; nur im Besitze zweckmäßiger, echter Werkzeuge ist es der Industrie möglich, den Anforderungen der Notdurft und Bequemlichkeit nicht minder, wie denen der Mode, des Geschmackes und des Luxus, Genüge zu leisten.
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Diese Bemerkungen dürften hinreichen, um die Überzeugung zu gewinnen, dass die Verbreitung guter Werkzeuge einen großen Einfluss auf die Gewerbs-Industrie habe, und wie sehr es wünschenswert sei, dass diesem Fabrikationszweige die ihm gebührende Aufmerksamkeit zu einer Zeit gewidmet werde, wo sich in allen Ländern Europas ein lobenswertes Streben und ein allgemeiner Wetteifer in der Industrie bemerkbar machen, und auch in Österreich soeben ein Verein entstanden ist, welcher der Gewerbstätigkeit eine geregeltere, erleichterte und für bleibende Vorteile geeignete Richtung zu geben und die vaterländische Industrie empor zu heben, sich als Tendenz vorgezeichnet hat. Wäre dieser Fabrikationszweig bisher mit der ihm gebührenden Achtsamkeit gepflegt worden, so wäre wohl seine Gestaltung gewiss eine noch erfreulichere, als es gegenwärtig schon der Fall ist. Indessen war man doch seit einer Reihe von Jahren in Österreich bemüht, ein ernsteres Forschen und Streben auf Vervollkommnung der Werkzeuge zu verwenden und den Vorrang des Auslandes zu mindern, was so viele nach und nach ins Leben getretene Werkzeugfabriken beweisen, die sich ausschließend mit Erzeugung von Werkzeugen beschäftigen.
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Ich darf es ohne Ruhmredigkeit aussprechen, dass mein seliger Vater, Franz Gruber, der Erste in Österreich war, welcher eine eigene Fabrik zur Erzeugung von Werkzeugen in Wien gründete, und dass es ferner meinem rastlosen Streben gelungen ist, bedeutende Verbesserungen der stahlplattierten Schneidewerkzeuge in Anwendung zu bringen, wodurch eine große Masse englischen Stahles jährlich erspart und die Werkzeuge doch vollkommen gut und dauerhaft werden.
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Möge der Verein diese Bemerkungen über die Werkzeuge gütig aufnehmen und meine Absicht nicht verkennen, dass ich nur bemüht war, die allgemein so unbeachteten Hilfsmittel der Gewerbstandes, nämlich die Werkzeuge, empor zu heben und diesen gewiss so wichtigen Industriezweig gehörig zu würdigen.
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Mit dieser Rede, mit seinem jugendlichen Elan und seinen bereits unter Beweis gestellten Fähigkeiten deutete Anton Gruber an, Großes erreichen zu können. Aber das Schicksal meinte es anders mit ihm. Knapp 2 Jahre später, am 28. März 1842, starb er mit nur 24 Jahren an Typhus.
Seine Fabrik wurde 1843 von einem Kaufmann und Besitzer einer kleinen Fabrik für Hobeleisen aus Krems an der Donau übernommen: Franz Wertheim.
Und er erwies sich als würdiger Nachfolger: In nur drei Jahren formte er aus Grubers Fabrik einen der größten Hersteller von Werkzeug für die Holzbearbeitung, mit seiner 1852 gegründeten Fabrik für feuerfeste Kassen stieg er zu einem der größten Industriellen der Monarchie auf.
Den niederösterreichischen Gewerbeverein, den der junge Anton Gruber für seine Sache gewinnen wollte, prägte Franz Wertheim zuerst als Vizepräsident und später als Präsident.
Gewissermaßen schloss sich damit ein Kreis.
Quellen:
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Die Chronologie des Österreichischen Gewerbevereins - Österreichischer Gewerbeverein, 2014, pdf
Verhandlungen des niederösterreichischen Gewerb-Vereins, Erstes Heft, Wien, 1840 - Google Books
Franz II. (I.) - Wikipedia
Ferdinand I. - Wikipedia
Franz II. (I.) - Wien Geschichte Wiki
Ferdinand I. - Wien Geschichte Wiki